Wie bekommt man in Zeiten der Energiewende eine wechselhafte Stromerzeugung aus Sonnen- und Windenergie mit dem wachsenden Energiebedarf für E-Autos und Wärmepumpen unter einen Hut? Theoretisch ganz einfach: Autos laden und Wärmepumpen heizen mit überschüssigem Strom. Davon gibt es heute mehr als genug. So sieht die Energiewende in der Theorie aus. Klappt das in der Praxis?
Die Digitalisierung ist allgegenwärtig. Und der umtriebige Verkehrsminister Andreas Scheuer hat große Pläne mit ihr: Laut Scheuer kann die digitale Technologie dabei helfen, die Klimaziele im Straßenverkehr zu erreichen. Etwa durch eine intelligentere Auslastung von Straßen und Fahrzeugen. Wie das funktionieren soll, weiß indes niemand. Es klingt aber fortschrittlich.
In anderen Bereichen schreiten digital vernetzte Technologien tatsächlich voran. Die Stromversorgung etwa steckt dort, wo der Straßenverkehr noch hin muss: Mitten in der Energiewende und kurz vor einer digitalen Revolution. Schon 2018 stammten rund 40 Prozent des Stroms in Deutschland aus erneuerbaren Quellen wie Wind, Sonne, Wasserkraft und Biogas. Die Schattenseiten der Energiewende sind: Wind (20 Prozent) und Sonne (8 Prozent) als die größten Quellen für sauberen Strom liefern ihre Energie nicht kontinuierlich. Das passt nicht zu unserem Alltag: Wir schalten das Licht ein, wenn die Sonne untergeht und brauchen in der dunklen Jahreszeit viel Energie zum Heizen.
Energiewende mal anders
Hinzu kommt bei der Energiewende: der Wind weht vor allem im Norden und nicht im dichter besiedelten Süden Deutschlands. So entsteht immer mehr Strom aus erneuerbaren Quellen. Die Stromnetze müssen stabil bleiben. Damit steigt der Aufwand. Um das Netz nicht zu überfordern, werden Maßnahmen getroffen.
Bei Überproduktionen durch viel Wind an der Nordsee werden Windräder aus dem Wind gedreht. Für Windparks gelten garantierte Stromabnahmen. So bekommen die Betreiber auch für den nicht produzierten Strom Geld. Andererseits zwingt die Energiewende Netzbetreiber dazu, dass sie bei Engpässen in der Stromversorgung kurzfristig teure Kraftwerke zuschalten müssen. Die Stromnetze schließlich können nicht beliebig viel Energie quer durchs Land transportieren. Deshalb kann es vorkommen, dass im Norden Windräder abgeregelt und im Süden Kraftwerke ans Netz gehen. Laut der Bundesnetzagentur betrugen diese Stabilisierungskosten 2017 rund 1,4 Milliarden Euro.
Der Strombedarf steigt
Durch den Ausbau von Stromtrassen und Verbindungen zwischen Übertragungsnetz-Bereichen schrumpften solche Redispatch-Kosten 2018. Doch je mehr erneuerbarer Strom entsteht, desto größer wird der Regelungsbedarf. Dabei soll unsere Energie dank Energiewende in rund 30 Jahren fast komplett aus regenerativen Quellen kommen. Zu dem Strom, den Haushalte, Fabriken und Gewerbegebäude heute benötigen, kommen jetzt neue Großverbraucher hinzu: Elektroautos und elektrisch betriebene Heizungsanlagen. Experten rechnen im Zuge der Energiewende mit einem vier- bis fünffachen Strombedarf.
Bis dahin muss noch einiges passieren. Beispiel Elektroauto: Eine Schnellladesäule stellt die Stromversorgung in einem normalen Haushalt auf die Probe: Lädt das Auto mit voller Leistung (bis 22 Kilowatt), dann müssen andere stromhungrige Verbraucher pausieren. Sonst fliegt die Hauptsicherung raus. Das Verteilnetz berechnet, wie viele E-Autos ein Stadtquartier maximal aushält. Der Tenor in Studien zur Energiewende lautet, dass hier ab etwa 25 Prozent Elektroautos die Netzstabilität in Gefahr ist.
Tagesschau-Effekt vermeiden
Kritisch für die Energiewende ist der Tagesschau-Effekt: Wenn viele Fahrzeuge nach Feierabend zeitgleich laden, droht ein Blackout. Andererseits bieten E-Autos und -Heizungen wertvolle Speicherkapazitäten. Auto-Akkus haben 50 bis 100 Kilowattstunden Kapazität. Ein 1.000-Liter Wasser-Speicher im Haus kann rund 50 kWh speichern und später als Heizwärme abgeben. Dazu gibt es Rechenspiele: Im Jahr 2017 wurden laut Bundesnetzagentur rund 5.500 Gigawattstunden Strom-Überschuss aus Windkraft, Photovoltaik und Blockheizkraftwerken abgeregelt. Das entspricht dem Energiebedarf von gut zwei Millionen E-Golfs von VW, die je 20.000 Kilometer pro Jahr fahren.
Bei der Energiewende ist Flexibilität Trumpf
Laden E-Autos ihre Akkus aus dem heutigen Stromüberschuss, dann können bei Wind und Sonnenschein mehr Turbinen und PV-Anlagen in Betrieb bleiben. Im Einfamilienhaus funktioniert dieses Energiemanagement: Der Energiemanager setzt den Strom der eigenen Photovoltaikanlage so ein, dass er gespeichert wird. Entweder im Haus, also in der Wärmepumpe, der Hausbatterie oder im E-Auto. Das spart Geld: Die Einspeisevergütung beträgt derzeit rund 12 Cent pro kWh, Strom aus dem Netz kostet 16 bis 18 Cent mehr.
So richtig spannend wird’s in Sachen Energiewende, wenn das Netz selbst den flexiblen Verbauch fördert. Auch hier kann der Preis Anreize schaffen, etwa mit variablen Stromtarifen je nach Energieaufkommen aus Wind und Sonne. Technisch ist das machbar: Energiemanager gibt es, auch flexibel steuerbare Verbraucher sind auf dem Markt. Vernetzte Hausgeräte von Bosch, Siemens oder Miele haben eine Funktion namens Smart Start – eine Art aktiver Standby, in dem sie sich über einen Energiemanager starten lassen. Ähnliche Mechanismen gibt es für Wärmepumpen und E-Auto-Ladestationen.
Zum neuen Audi Etron etwa kommt Mitte des Jahres eine vernetzte 22 kW-Ladestation auf den Markt, die sich ebenfalls extern ansteuern lässt. Hersteller wie Grid-X oder Innogy haben solche vernetzten Wallboxen angekündigt. Mit dem EEBUS-Standard hat sich in den letzten Jahren eine digitale Sprache etabliert, in der flexible Verbraucher herstellerunabhängig kommunizieren können.
Erste Anwendungen im Netz
Die Stadtwerke Norderstedt bei Hamburg erproben solche flexiblen Stromtarife derzeit mit einigen hundert Kunden in einem Pilotprojekt. Das zielt darauf ab, den Windstrom aus der Region besser unter die Leute zu bringen und bei hohem Windaufkommen weniger Windräder abstellen zu müssen. Bundesweit verfügbar ist seit Kurzem der Tarif Hourly vom Stromanbieter Awattar. Der orientiert sich stundenweise am wechselhaften Börsenpreis für Strom. Solche flexiblen Tarife funktionieren indes nur, wenn der Verbrauch kontinuierlich gemessen und zum Energieversorger übertragen wird. Dafür ist ein vernetzter Stromzähler wie etwa der Stromsparzähler von Discovergy notwendig. Er misst den Stromverbrauch sekundengenau und meldet ihn dem Nutzer über ein Webinterface. Dabei erkennt er einzelne Verbraucher wie Waschmaschine, Herd oder Kühlschrank.
Durchschnittliche Ersparnis: 500 KWh pro Jahr
Um das Sparpotenzial der Energiewende zu analysieren, hat Discovergy-Projektleiterin Karin Kugler Kunden zu deren Einsparungen befragt. Das Ergebnis: Nutzer des Stromsparzählers sparen durch die Verbrauchsdaten und daraus resultierende eigene Sparmaßnahmen durchschnittlich 500 kWh pro Jahr. Über die Wirkung des variablen Strompreises von Awattar gibt es derzeit noch keine Erfahrungen. Der dynamische Tarif ist im März 2019 in Deutschland gestartet. Der Discovergy-Zähler und das zugehörige Info-Portal gehören bei Awattar zum Service.
Wann kommen die Smart Meter?
Die Installation von zertifizierten Smart Meter Gateways sollen für Netzbetreiber und Verbraucher einen sicheren Übertragungskanal für Verbrauchsdaten, Tarifimpulse und andere Informationen bringen. Die Einführung der Gateways sollte 2018 starten. Doch die strengen Vorgaben an die Datensicherheit, Produktion und Logistik der Geräte verzögert ihre Einführung. Für einen verpflichtenden Einbau müssen mindestens drei Produkte von allen staatlichen Kontrollstellen freigegeben sein. Anfang April 2019 war erst ein Smart Meter Gateway zertifiziert. Das Verfahren dazu ist so sicher wie Fort Knox und zugleich selbst für Insider unvorhersehbar. Beobachter gehen mitterweile von einem Beginn der Auslieferung Mitte des Jahres oder im Herbst aus.
Fest steht, dass die Smart Meter alle Möglichkeiten für eine Verbindung zwischen flexiblen Verbrauchern im Haus und dem Smart Grid eröffnen. Die variablen Stromtarife der Stadtwerke Norderstedt oder von Awattar, die Ladetechnik des Audi Etron oder vernetzte Waschmaschinen zeigen die technische Funktionalität. Deshalb ist es nun an der Zeit für die digitale Energiewende.